Hallo allerseits,
da hier ja sonst niemand etwas zu "The Holdovers" zu sagen hat
, wollte ich nur dokumentieren, daß mir der Film gut gefallen hat. Optisch im Stil von 1970er-Dramen gehalten, erzählte der Film eigentlich gar nicht so viel, und trotzdem habe ich mich die 127 Minuten nicht gelangweilt, weil man den Figuren einfach gerne zusah.
Solche Rückblenden in vergangene Zeiten waben natürlich immer einen hohen Nostalgie-Faktor - auch und gerade, wenn man die Zeit gar nicht selbst miterlebt hat (ich gehöre vermutlich zu den älteren Sneak-Besuchern - selbst ich bin aber erst ein paar Wochen nach dem Ende der Handlung zur Welt gekommen), außerdem sorgt das Look-and-Feel des Films dafür, daß man an simplere Zeiten zurückdenkt, obwohl die frühen 1970er genug Probleme hatten (siehe Vietnam). Doch im Kern ist "The Holdovers" eine humorvolle, aber sensible Characterstudie über im Wesentlichen drei Personen, die alle mit der Ungerechtigkeit der Welt hadern.
Da wäre zunächst Angus, gespielt von dem Newcomer Dominic Sessa. Er leidet unter dem Verlust seines Vaters, der Tatsache, daß seine Mutter einen neuen Ehemann gefunden hat, und darunter, daß er zu klug und ernsthaft für seine Mitschüler ist. Sessa spielt Angus mit einer guten Balance zwischen jugendlicher Naivität und altklugem Sarkasmus - das einzige, was ich ihm vorwerfen könnte, ist daß er für einen vermutlich 15 Jahre alten Schüler zu alt aussieht (der Schauspieler war während der Dreharbeiten wohl 20 Jahre alt).
Dann hätten wir Mary (Da'Vine Joy Randolph), die stoisch und durchaus nicht ohne Autorität ihren Job als Chefköchin des Internats macht; man erfährt früh, daß ihr Sohn vor kurzem in Vietnam gefallen ist, für die Hintergründe (und wie es Mary wirklich geht) läßt sich der Film aber Zeit und erzählt dies quasi nebenbei, während sie versucht, Paul auf Spur zu halten.
Womit wir bei Paul (Paul Giamatti) selbst wären, der als Lehrer für antike Geschichte zunächst wie ein stereotypischer "harter Lehrer" wirkt, der sich nur für den Stoff und Disziplin interessiert; erst nach und nach lernt man ihn näher kennen und entdeckt, daß unter der harten Schale ein verletzter Schüler steckt, der sich aufgrund von erfahrenen Ungerechtigkeiten in sein Schneckenhaus zurückgezogen hat und erst nach und nach auftaut.
Der Film konzentriert sich auf etwa zwei Wochen im Leben dieser drei Figuren (zeitweise sind noch andere beteiligt, doch diese sind ganz klar Nebensache), in denen die drei gemeinsam im Internat "überwintern" müssen, weil Angus über Weihnachten nicht nach Hause kann. Der Film eröffnet die Geheimnisse um Paul, Angus und Mary sehr ruhig, hat jedoch immer etwas zu erzählen, so daß der Film nie langweilig wird; geschickt werden die Eröffnungen über unsere Hauptfiguren dabei in die Rahmenhandlung eingewoben, so daß man die drei auf ganz natürliche Weise näher kennenlernt. Solche Filme sind heutzutage selten geworden, aber "The Holdovers" hat sich seine Laufzeit von etwas über zwei Stunden wohlverdient und verschwendet quasi keine Sekunde.
Mehr will ich über den Film eigentlich gar nicht sagen - außer, daß man sich "The Holdovers" unbedingt ansehen sollte, wenn man Filme mag, die von den Figuren her konzipiert sind.
Ich gebe dem Film eine glatte "Zwei", bis jetzt steht er im Sneakjahr 2023 bei mir damit auf Platz vier.
Gruß
Kasi Mir