Hallo allerseits,
Roughale hat es ja schon angedeutet - mit seiner 2- ist er nicht allein.
Auch ich halte "Hard Candy" für einen mit Abstrichen gelungenen Psychothriller, der in Handlung wie Wirkung beim Zuschauer fast völlig auf die Macht der Andeutung setzt und dabei über weite Strecken zeigt, daß man Furcht und Beklemmung auch ohne explizite Gewaltdarstellungen und ohne Soundtrack-Spielereien erzeugen kann - aus aktuellem Anlaß sei Mr. Simon West (ich meine natürlich
diesen Simon West
) nochmal daran erinnert.
Dabei steht und fällt der Film natürlich mit seiner Hauptdarstellerin - Ellen Page spielt alle Nuancen von Hayley überzeugend und trägt damit maßgeblich dazu bei, daß die Figur sowohl als altkluge Teenagerin als auch als Racheengel überzeugend und damit letztendlich unberechenbar bleibt, ohne wie ein Plot Device zu wirken.
Diese differenzierte Darstellung ist auch deswegen so wichtig, weil sie einen Gegenpunkt zur eher farblosen männlichen Hauptfigur Jeff darstellt; damit "Hard Candy" nicht zu einem bloßen Racheepos à la "Walking Tall" oder "Payback" verkommt, müssen beide Figuren über wesentliche Teile des Films ambivalent bleiben, der Zuschauer muß sich bezüglich seiner Sympathien einen Rest Unsicherheit vorbehalten. Hayley behauptet selbst von sich, verrückt zu sein, und legt mehr als einmal neurotisches, fast psychopathisches Verhalten an den Tag, daß den Betrachter auf Distanz gehen läßt.
Pages Darstellung (bei der sie wesentlich mehr gefordert wurde als im aktuellen dritten "X-Men"-Film) überdeckt auch zumindest teilweise die durchaus vorhandenen Schwächen des Films, die Roughale ja bereits angerissen hatte. Im Kern ist "Hard Candy" wohl eher ein Kurzfilm, der die 95 Minuten Laufzeit nur durch einige Wiederholungen sowie eine Reihe von Dialogen erreicht, die ohne Informationsverlust auch kürzer hätten gefaßt werden können; auch scheint sich Hayley in der Durchführung Ihres Planes ein paarmal arg auf Zufälligkeiten zu verlassen, was ohne (Off-Screen erfolgte) Vorbereitungen zumindest sehr mutig erscheint. Weiteres Potential verschenkt das Drehbuch dadurch, daß es Pages Hayley letztlich zu unnachgiebig und sattelfest gestaltet, so daß das verbale Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Hauptfiguren vor allem in der zweiten Hälfte erheblich an Spannung einbüßt. Und last not least setzt Regisseur David Slade tatsächich etwas stark auf die pseudo-dokumentarische Wackelkamera und eine Vielzahl von Close-Ups, auch wenn er dort nicht annähernd die Nervigkeit der Referenzwerke "United 93" bzw. "Meet Joe Black" erreicht.
Das alles hält "Hard Candy" vom Einserbereich fern, für eine knappe Zwei reicht es aber allemal; wer sich von der Thematik (und von einigen schwer verdaulichen Szenen, auch ohne explizite Gewaldarstellung ist der Film sicherlich nichs für Zartbesaitete) nicht abschrecken läßt, bekommt ein kleveres, wenn auch ungleiches Schachspiel zwischen einem mutmaßlichen Kiderschänder und einer seiner selbsternannten Rächerin zu sehen. Einer der besten Sneakfilme des laufenden Jahres, für den ich auch zähneknirschend die siebte Bonsai-Preview 2006 in Kauf nehme.
Gruß
Kasi Mir